Deutscher Gewerkschaftsbund

23.09.2015

Bremer Gewerkschaften zur aktuellen Flüchtlingspolitik

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DGB

Die Situation könnte kaum widersprüchlicher sein: Einerseits erleben wir eine Welle der Unterstützungsbereitschaft. Überall in Deutschland werden neu ankommende Flüchtlinge von ehrenamtlichen HelferInnen begrüßt – zutiefst berührende Bilder, die in dieser Form letztmalig nach dem Mauerfall 1989 zu sehen waren. Andererseits ist die globale Flüchtlingskrise mitten in Europa angekommen. Menschen jeden Alters wandern zu Fuß quer durch den Kontinent, Tausende sind auf den Inseln im östlichen Mittelmeer gestrandet. Zudem verlieren täglich Menschen ihr Leben bei dem Versuch, die streng überwachten Außengrenzen der Europäischen Union zu überwinden - der dreijährige Aylan aus Kobane ist nur einer von knapp 3.000 Toten allein im laufenden Jahr gewesen.

Europa ist durch die jüngsten Entwicklungen an einem Scheidepunkt angelangt. Es muss darüber befinden, ob weiterhin auf Abschottung gesetzt und somit rechtspopulistischen Regierungen wie in Ungarn sowie rechtspopulistischen und nationalsozialistischen Kräften in Deutschland wie in allen anderen europäischen Ländern in die Hände gespielt werden soll. Oder ob nicht der Zeitpunkt gekommen ist, das bisherige Grenzregime durch eine an den grundlegenden Menschenrechten orientierte Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik zu ersetzen. Die hiermit verknüpften Fragen sind gesamtgesellschaftliche Herausforderungen, sie können nicht durch die Regierungen der EU-Mitgliedsländer allein entschieden werden. In diesem Sinne greifen auch die Gewerkschaften in Bremen aktiv in die aktuelle Flüchtlingsdebatte ein. Dies ist auch als Einladung an unsere Mitglieder zu verstehen, gemeinsam mit uns und anderen gesellschaftlichen Akteuren über solidarische Alternativen zu diskutieren und sich zu engagieren.

 

1. Legale und sichere Fluchtwege schaffen: Oberstes Gebot muss sein, dass Schutzsuchende nicht mehr auf ihrem Weg nach Europa ihr Leben riskieren müssen. Es führt daher kein Weg daran vorbei, legale Zugänge nach Europa zu schaffen. Hierfür müssen die Flüchtlinge ab sofort die Möglichkeit erhalten, die übers Mittelmeer pendelnden Fähren zu nutzen und somit sicher, billig und ohne erpresserischen Druck von Schlepperbanden nach Europa zu gelangen.

2. Freizügigkeit statt starrer Quoten: Sind die Geflüchteten erst einmal in Europa angekommen, ist ihnen nicht zuzumuten, in einer politisch aufgeladenen Stimmung und ihnen hochgradig feindlich gesinnten Umgebung ein häufig aussichtsloses und zudem von zahlreichen Schikanen geprägtes Asylverfahren zu durchlaufen. Dies ist leider unter anderem in zahlreichen Ländern Ost- bzw. Südosteuropas der Fall. Stattdessen sollten Flüchtlinge dorthin gehen können, wo sie sich sicher fühlen oder wo bereits Verwandte oder Freunde leben. Länder, die hierdurch weniger Flüchtlinge aufnehmen, als es ihrer Einwohnerzahl und Wirtschaftskraft entsprechen würde, sollten deshalb für die zusätzlichen Kosten jener Länder aufkommen, die überproportional viele Flüchtlinge aufnehmen. Alles spricht dafür, dass auf diese Weise langfristig ein gesamteuropäischer Ausgleich erreicht werden kann, im Übrigen auch in Abhängigkeit von den jeweiligen Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten. 

3. Gleiche Rechte für Geflüchtete: Menschenrechte sind nicht teilbar! In diesem Sinne stehen Schutzsuchenden die gleichen Rechte zu wie der bereits ansässigen Wohnbevölkerung. Die jüngst durch die große Koalition in Berlin beschlossenen Gesetzesverschärfungen wie eine auf 6 Monate verlängerte Verweildauer in den Erstunterkünften oder die Wiedereinführung der Residenzpflicht bzw. des Sachleistungsprinzips sind daher als menschenrechtswidrig abzulehnen. In Bremen muss vor allem der Frage des Wohnens eine besondere Beachtung zukommen. Die nunmehr geplante Unterbringung in Zelten auch während der Wintermonate stellt einen Skandal dar und ist einer weltoffenen Hansestadt wie Bremen nicht würdig.

4. Zugänge zu Ausbildung und Arbeit schaffen: Flüchtlinge brauchen Ausbildung und Arbeit. Dafür ist unter anderem ein pragmatischer Umgang mit der Vorrangprüfung erforderlich, der zum Teil schon erfolgt. Zudem bedarf es eines Zugangs zu arbeitsmarktpolitischen Förderinstrumenten sowie zu berufsbezogenem Sprachunterricht. Flüchtlinge brauchen bei der Anerkennung ihrer Berufs- und Bildungsabschlüsse Unterstützung. Bei der Ausbildung sollte von Anfang an ein gesicherter Aufenthalt für die gesamte Ausbildungszeit gewährleistet sein. Ferner sollte der gesicherte Aufenthalt nach erfolgreichem Abschluss fortbestehen, damit auch diejenigen die Möglichkeit haben einen Arbeitsplatz zu finden, die nicht direkt vom Ausbildungsbetrieb übernommen werden. Das Höchstalter von derzeit 21 Jahren für junge Menschen, die wegen ihres Ausbildungsverhältnisses eine Aufenthaltsbewilligung erhalten, sollte aufgehoben werden. Unabhängig davon brauchen wir neben dem Asylrecht belastbare Zuwanderungsmöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt, über die bereits nachgedacht wird (Einwanderungsgesetz, Kontingentzuwanderung).

5. Fluchtursachen bekämpfen: Jenseits der menschenwürdigen Aufnahme von Flüchtlingen in der EU müssen unbedingt die Gründe ins Auge gefasst werden, die Menschen überhaupt dazu bringen, ihre Herkunftsländer zu verlassen. Dies kann zum einen durch direkte politische und wirtschaftliche Hilfe vor Ort erfolgen, die auch bei den Menschen ankommt. Zum anderen ist in der europäischen Politik alles unterlassen, was seinerseits zur Flucht bzw. zur armutsbedingten Migration führt, wie beispielsweise und stellvertretend die katastrophalen Auswirkungen der EU-Agrar- und Fischereipolitik in zahlreichen Ländern Afrikas. Grundsätzlich abzulehnen und sofort zu stoppen ist unterdessen die von der EU derzeit geplante Kooperation mit Diktaturen wie in Eritrea oder Sudan, um Flucht- und Migrationsmöglichkeiten einzudämmen.

6. Kommunen stärken: Die Kommunen sind mit der Herausforderung konfrontiert, in kürzester Zeit menschenwürdige Unterkünfte aufzubauen und die Unterbringung und Integration der Flüchtlinge zu ermöglichen. Die finanzielle Ausstattung der Kommunen muss weiterentwickelt werden, um eine dauerhafte und maßgebliche Beteiligung des Bundes an den Kosten abzusichern.

7. Sozialen Wohnungsbau und Recht auf Bildung umsetzen: Der Bedarf an bezahlbarem Wohnraum für alle, die darauf angewiesen sind, erfordert ein Sofortprogramm. Der bevorstehende Winter erfordert ein schnelles und unbürokratisches Handeln. Provisorien gilt es auf längere Sicht abzubauen, die Unterbringung in Sammelunterkünften sollte so kurz wie möglich dauern. Viele Schulen und Kitas stehen vor der großen Herausforderung, unvorbereitet und ohne entsprechende personelle Ressourcen und materielle Ausstattung, Flüchtlingskinder aufzunehmen, zu unterrichten und zu betreuen. Die Aussetzung der Schulpflicht ist keine Lösung! Stattdessen brauchen Schulen und Kitas sofort verfügbare zusätzliche Mittel, damit sie diese Aufgabe bewältigen können. Vorrangig sind hier neben sozialpädagogischen Fachkräften Lehrkräfte für muttersprachlichen Unterricht sowie Lehrkräfte mit Qualifikationen für „Deutsch als Zweitsprache“ (DAZ) nötig. Hierzu müssen auch Aus- und Fortbildungskapazitäten erweitert werden. Eine enge Kooperation z.B. mit der VHS, die IntegrationskursleiterInnen ausbildet, ist angezeigt. Flüchtlingen wie KollegInnen in den Bildungseinrichtungen muss psychotherapeutische Unterstützung angeboten werden.

Die Offenheit und Unterstützungsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger, mit der Schutzsuchende derzeit überall in Deutschland empfangen und in ihren ersten Schritten in ihr neues Leben begleitet werden, ist ein wahrer Meilenstein in der Herausbildung einer Willkommenskultur in Deutschland. Hier setzt die Zivilgesellschaft ein eindeutiges Zeichen gegen Hass und Rassismus. Die Gewerkschaften, ihre Mitglieder und die betrieblichen Interessenvertretungen in Bremen fördern diese Integration mit großem Engagement. Ihre Aktivitäten sind vielfältig und erfolgen auf Augenhöhe mit den Flüchtlingen. Viele diese Aktionen werden in Zusammenarbeit mit den Unternehmen durchgeführt und sind lokal verortet: So werden z.B. Beschäftigte bezahlt freigestellt, um Flüchtlingsorganisationen in ihrer Arbeit zu unterstützen, Betriebe stellen leerstehende Gebäude als Notunterkünfte zur Verfügung, Patenschaften werden eingegangen, Mentoring-Programme entwickelt, Camps und Sportveranstaltungen organisiert, Deutschkurse finanziert, Praktikums-, Ausbildungs- und Arbeitsplätze geschaffen und vieles mehr.

In diesem Zusammenhang weisen die Gewerkschaften ausdrücklich auf die bundesweite Initiative „Respekt! Kein Platz für Rassismus“ hin. Es handelt sich dabei um ein öffentliches Bekenntnis von Unternehmen und gewerkschaftlichen Interessenvertretungen für einen respektvollen Umgang miteinander und setzt ein deutliches Zeichen gegen jeglichen Rassismus im Betrieb – etwa aufgrund ethnischer Herkunft, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung, wegen Behinderung, Alter oder sexueller Orientierung. Jene Betriebe, die sich dieser Initiative noch nicht angeschlossen haben, sollen dazu aufgefordert und ermutigt werden. Denn Betriebe sind immer auch Spiegel der Gesellschaft und daher auch Orte des Lernens von mehr Toleranz, Respekt und Gleichberechtigung. Informationen zur Initiative sind zu erhalten unter: www.respekt.tv.

Insofern geht es bei all diesen Aktionen und Unterstützungen um das Willkommenheißen der Flüchtlinge sowie zugleich um die Stärkung der Zivilgesellschaft. Denn Solidarität beginnt mit der Einsicht, gemeinsam mehr zu erreichen. 


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